Nachruf Dr. Tilman Lenssen-Erz (1955–2023)
Nach tapferem Kampf ist unser Kollege und Freund, Dr. Tilman Lenssen-Erz – gerade erst seit zwei Jahren im sogenannten Ruhestand –, am 10. November 2023 einer unbesiegbaren Krankheit erlegen. Er war von 1986 bis 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle Afrika des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität zu Köln. In dieser Zeit hat er die Felsbildforschung und die Erschließung indigenen Wissens für die Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie national und international maßgeblich geprägt.
Tilman Lenssen-Erz studierte von 1977 bis 1982 an der Universität Marburg Afrikanistik, Vor- und Frühgeschichte und Religionsgeschichte. In seiner Magisterarbeit widmete er sich „Studien zum Verb im Kwang (Tschad)“. Es folgten Jahre als Mitarbeiter und örtlicher Leiter auf diversen archäologischen Ausgrabungen in Deutschland, Tunesien und Ägypten. Mit seiner breiten interdisziplinären Kompetenz übernahm er 1986 in Köln das Projekt „Felsbilder im Oberen Brandberg“. Daraus ging 1997 seine Doktorarbeit an der Goethe-Universität Frankfurt mit dem Titel „Gemeinschaft – Gleichheit – Mobilität. Felsbilder im Brandberg, Namibia, und ihre Bedeutung. Grundlagen einer textuellen Felsbildarchäologie“ hervor.
In den Jahren 1986 bis 2006 gestaltete und leitete Tilman Lenssen-Erz die weltweit umfangreichste Veröffentlichung urgeschichtlicher Felsbilder, begleitet von einem Datenaufnahmesystem, dessen neuartige Methodik unter anderem von seinen linguistischen Kenntnissen profitierte. Auf der Grundlage einer von Harald Pager zwischen 1977 und 1985 erstellten Geländedokumentation entstanden sechs Bände, die in der Reihe Africa Praehistorica (Köln: Heinrich-Barth-Institut) erschienen.
Als Mitglied und Antragsteller im Kölner DFG-Sonderforschungsbereich 389 ACACIA (1995–2007) bereicherte Tilman Lenssen-Erz die Felsbildarchäologie im Ennedi-Gebirge (Tschad) mit seinen Forschungsansätzen.
Seit 2012 war er Mitbegründer und Ko-Antragsteller des African Archaeology Archive Cologne (AAArC), dessen Aufbau und Pflege sich über mehrere Projekte erstreckte, zuletzt in FAIR.rdm, dem zentralen Forschungsdatenmanagement im DFG-Schwerpunktprogramm SPP 2143 Entangled Africa.
Seit 2008 widmete Tilman Lenssen-Erz seine Forschung der Erschließung indigenen Wissens rezenter San-Jäger des südlichen Afrikas für die Archäologie. Dabei entstand zunächst Tracking in Caves (mit Priv.-Doz. Dr. habil. Andreas Pastoors), ein weltweit beachtetes Vorhaben zur Analyse urgeschichtlicher Fußspuren in altsteinzeitlichen Bilderhöhlen Europas im Zusammenwirken mit afrikanischen Fährtenlesern. In zwei weiteren Projekten unter dem Titel Indigenous Knowledge and Archaeoinformatics sowie Modelling of Prehistoric Hunting Behaviour (mit Prof. Dr. Eleftheria Paliou) werden seit 2019 indigene Jäger in Namibia bei der Jagd begleitet, um empirische Daten und indigene Erklärungsmuster in bestehende archäologische Modelle einfließen zu lassen.
Die Archäologie hat einen innovativen, weit vernetzten, enorm produktiven Forscher verloren, unser Institut einen Kollegen, der Wissenschaft zuvorderst als soziale Praxis gesehen hat. Tief belesen, politisch und sozial engagiert, mit reichlich Humor (auch schwarzem) gesegnet, hat er bis zuletzt Expertise, Ermutigung, Rat und Tat für alle übrig gehabt. In aller Welt wird man ihn als konstruktiven, vorbildlich großzügigen, selbstkritischen und immer inspirierenden Kollegen, Kritiker, Gutachter und Mentor in Erinnerung behalten. Wir trauern um ihn.